Cosima Santoro

Geboren bin ich 1955 in Ceglie Messapica, bei Brindisi, Süditalien. Meine Eltern, Vita und Angelo Santoro, beide Landarbeiter, kamen 1961 als Gastarbeiter nach Deutschland. Ich wurde im gleichen Jahr in Köln eingeschult. Sehr bald begann für mich aber eine Zeit des Pendelns, da die Eltern nicht so recht wußten, wie lange sie in Deutschland bleiben würden. Ich ging viele Jahre in Italien zur Schule, bis klar wurde, dass für die Eltern eine Heimkehr nur mit der Verrentung statt finden würde. Das bewirkte, dass ich zurück nach Köln geholt wurde.  Während also meine Familie 25 Jahre lang ihren festen Wohnsitz in Köln hatte, pendelte ich  zwischen den Sprachen und Kulturen. Ich schaffte dennoch 1975 mein Abitur in Köln, entschied mich aber selbst wieder für einen Aufenthalt in Italien, ein Studium am Mailänder Politecnico, um Ende 1977 doch wieder nach Köln zurückzukehren.

Ein Film, der über meine Familie 1976 gedreht worden war, war ausschlaggebend für meine endgültige Rückkehr nach Köln. Ich entschied mich für ein visuell orientiertes Studium. Das Pendeln zwischen den Sprachen und Kulturen hatte zu einer beunruhigenden Entwurzelung beigetragen.Der Film über meine Familie hatte mir “mein Problem” sichtbar gemacht.  Ich studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Kunstgeschichte und Philosophie an der Kölner Universität.

Mit dem „Frauenfilmkollektiv Pandora“, das wir,  Film interessierte Studentinnen, innerhalb des theaterwissenschaftlichen Instituts gegründet hatten, versuchten wir Filmtheorie und -praxis zusammenzubringen, Fragen nach dem weiblichen Blick und weiblichen Arbeitsmethoden „video machend“ für uns zu klären. Video = ich sehe: wir wollten „sehen“ „wie“ wir geworden waren, was wir waren. Nach drei Videofilmen gingen wir jedoch auseinander. Das Arbeiten im Kollektiv hatte uns unsere Grenzen gezeigt, aber uns auch neue Orientierungen ermöglicht.

Während des Studiums bereicherten Assistenzen bei diversen Film- und Fernsehproduktionen meine Kenntnisse zur praktischen Film- und Fernseharbeit. Bei der Kölner Firma TAG/TRAUM erlernte ich den professionellen Umgang mit der elektronischen Kamera und den neuen Schnittsteuerungen. Im Jahre 1981, nach dem Hauptstudium, inmitten der Magisterarbeit zu Jean Luc Godards Videoserien “Six fois deux”, beschloss ich die Arbeit mit dem Bild zu meinem Beruf zu machen.

Ich arbeitete als Kamerafrau und Cutterin, als Fernsehautorin und Regisseurin. Gretel Brandt, eine Kölner Filmemacherin und Feministin der deutschen Nachkriegsgeneration, ermöglichte mir mich als Kamerafrau und Cutterin  für ihre sozial engagierten Dokumentarfilmen einzubringen. Es war eine intensive und erfolgreiche Zusammenarbeit.

Mit zunehmender Komplexität der digitalen Schnitttechnik und der Geburt meines Kindes, 1988, ergab sich die Notwendigkeit einer beruflichen Anpassung an meine familiäre Situation.Der Mangel an angemessener Kinderbetreuung war beruflich abträglich. Mit anderen Müttern gründete ich  Kinder- und Schülerläden in Selbstverwaltung. Was einen großen persönlichen Einsatz bedeutete.

Von 1987 bis 1996 konnte ich mich als Endfertigungsregisseurin für die ARD Sendung “Moskito – nichts sticht besser sein” engagieren. Die Sendung, die beim SFB angesiedelt war, erhielt im Lauf der Jahre viele Preise, unter anderen einen Grimme Preis und den Prix-Europa. Für die Sendung “Freistil – oder Mitteilungen aus der Wirklichkeit”(1988-1989) des Kölner Filmemachers Thomas Schmitt war ich maßgeblich an der  Entwicklung des Formats wie an der Schnittdramaturgie beteiligt. Ich habe verschiedene Autoren beim Filmschnitt beraten, den Offline-Schnitt übernommen oder den Online-Schnitt betreut.

Neben diesen Tätigkeiten war Medienarbeit mit Jugendlichen im Kontext der  Sucht Prävention und Freizeitgestaltung ein weiteres Feld meines beruflichen Engagements.

An der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin betreute ich studentische Videoprojekte und Seminare. So auch das zu seiner Zeit sehr ungewöhnliche Seminar von Gabor Body “Interaktive Computergesteuerte Ton- und Bildkomposition”. Nach dem Freitod des Filmemachers wurde das Seminar von Martin Potthoff (Video- und Informatikfachmann) und Ludwig Rettinger (Redakteur) weitergeführt. Für Gabor Body habe ich verschiedene Kunstvideos geschnitten, so wie auch für die Videokünstlerinnen Maria Vedder und Bettina Gruber.

Mitte der 80er Jahre, intensiviert durch die Begegnung mit dem Choreographen Gerhard Bohner, wurde Tanz ein Schwerpunkt in meiner eigenen Videoarbeit.

Als Low-Budget-Produzentin habe ich meine Tanzfilme realisiert. Das Porträt des Choreographen Gerhard Bohner, mit dem Titel “TanzTheaterGeschichte”, erhielt eine besondere Erwähnung beim Internationalen Festival Dance Screen, 1991. “Tanzlust pur” (1995), ein Porträt der ethnisch heterogenen französischen Tanzgruppe „Black, Blanc, Beur“, wurde Bestandteil des ARTE-Themenabends “Jugendliche zwischen Lust und Last”, ein Themenabend, den ich für die Moskito Redaktion konzipierte und redaktionell betreute. Über Teilaspekte der deutschen Tanzentwicklung habe ich in Zusammenarbeit mit dem Tanzfilminstitut Bremen oder der Akademie der Künste Berlin Vorträge gehalten.

Nach einer Erkrankung und anschließenden Rehabilitation nahm ich 1999 mein Studium wieder auf. Im März 2001 erhielt ich den akademischen Titel Magister Artium in Kulturelle Kommunikation, Theaterwissenschaften, Philosophie und Kunstgeschichte. Im Sommer 2001 wurde ich künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Kunsthochschule für Medien, Köln, in der Abteilung Film und Fernsehen.

Mit meiner Rückkehr nach Berlin und anlässlich der Ausstellung „Tanz nach 1945“ in der Akademie der Künste realisierte ich im Oktober 2003 eine Tanz-Videoinstallation mit dem Titel „Nach dem goldenen Schnitt“. Die Installation aus drei Videoprojektionen eines einzigen  Tanzsolos bestehend und einem dazugehörend experimentellen Videoportrait ist dem Choreographen und Tänzer Gerhard Bohner gewidmet. Der Videofilm zeigt, wie die persönlichen, leidvollen Erlebnisse der Familie Bohner während des ersten und zweiten Weltkrieges das künstlerische Schaffen des Tänzers und Choreographen Gerhard Bohner prägten. Durch die Arbeit an den Choreographien von Gerhard Bohner hat sich wesentlich mein Blick auf Deutschland und seine Menschen verändert. Deutschland war nicht mehr nur das “Nazideutschland”, das immer noch meine emotionale Distanz zu Deutschland bestimmte. Die Arbeit an der Filmserie von Rolf Hosfeld “Kollaborateure unterm Hakenkreuz” zeigte mir wie Europa diese Epoche mit zu verantworten hatte. Mein Bild Italiens, meiner “Heimat”, wurde einer Korrektur unterzogen.

Dank einer multimedialen Weiterbildung konnte ich zu Gerhard Bohners 70. Geburtstag, 2006, eine Webseite, www.gerhardbohner.de – vor den Bildern sterben die Worte, selbst einrichten. Die Seite ist als work in progress angelegt und offen für Bilder und Texte zu Bohner und Tanz. (Die Seite ruht zur Zeit).

Mit dem Ende meiner aktiven Elternzeit 2008 habe ich mich beruflich nochmals neu orientiert, mich durch eine Weiterbildung als Tourist Guide qualifiziert. Damit begann für mich eine neue Lebensphase, das sich durch ein regelmäßiges Pendeln zwischen Apulien und Berlin charakterisieren lässt. Ich habe die Geschichte meines Ursprungslandes Italien, mit Fokus auf den Mezzogiorno, neu entdeckt, die Schönheit meiner Region Apulien mit anderen Augen wahr genommen. Reiseleitungen in Apulien ermöglichen mir die Geschichte meiner Region Apulien, eingebettet in der Geschichte Italiens und Europas, mit den liebenden Augen einer Einheimischen und doch auch immer mit den neugierigen Augen eines Gastes zu betrachten und anschaulich zu vermitteln. In meiner Wahlheimat Berlin  biete ich thematische Stadtführungen an, wie z. B. Berlin Stadt der Frauen, Berlin auf Italienisch, Das rebellische Berlin, Die Berliner Aufklärung, etc..  Mein neuer Beruf, das Pendeln zwischen den Kulturen, bringt die zwei Saiten meiner Seele zum klingen: die lebendige, kommunikative italienische und die gewissenhaft, tiefgründige deutsche Saite. Ich bin gerne als Cicero unterwegs. Cicero galt ja als ein fesselnder Redner, der die Kunst beherrschte in einem schlichten Stil komplexe Zusammenhänge zu erörtern. Er ist mir ein Vorbild. Und auch sein Name “Cicero”, eine Ableitung von  ”Kichererbse”, steht in einem direkten Zusammenhang zu meiner Heimat wie Wahlheimat:  Kichererbsen sind ein wichtiger Bestandteil  Apuliens Küche und Kichererbsen sind ein wesentlicher Bestandteil der Küche der Berliner/innen mit Migrationshintergrund – des Berlins.

Was die Zukunft noch für berufliche Anpassungen von mir erwartet, steht in den Sternen. Ich weiß aber, dass meine apulischen Wurzeln, dem Leben immer etwas Positives abzutrotzen, zusammen mit der kölschen Lebensphilosophie,  “Et kütt wie et kütt”, eine gute Ausstattung ist, um allen neuen Herausforderungen, privater wie beruflicher Natur, gelassen zu begegnen.